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Das Yandere-Mädchen

"Mach doch nicht so ein Gesicht!", seufzte seine kleine Schwester Airi. An seiner Hand begleitete er die 12-Jährige mit zur Schule, da sie genau auf seinem Weg lag. "Du musstest deine Freunde zwar alle in Osaka lassen, aber Kobe ist doch eine riesig große Stadt! Du wirst ganz viele neue Freunde finden, und wenn nicht, spielen meine neuen Freunde bestimmt auch mit dir!"

Aikuro war etwas genervt. Sie war ja wirklich reizend, aber ihm fiel es nicht ansatzweise so leicht wie der kleinen Extrovertierten, neue Menschen kennen zu lernen. Nachdem sein Vater kürzlich gestorben und seine Mutter bereits lange alleine ins Ausland durchgebrannt war, blieb ihnen nicht mehr viel übrig, als zu ihren Großeltern nach Kobe zu ziehen. Aikuro fand es schrecklich, er mochte seine Routine und sein vertrautes Umfeld, und es passte ihm gar nicht, dass er jetzt so sehr ins kalte Wasser geschmissen worden war. Seine kleine Schwester tanzte neben ihm her, sie war sehr stolz auf ihre neue Schuluniform, die sie ab heute zum ersten Mal tragen durfte, während Aikuro sich in dem typischen dunkelblauen Anzug fortbewegte. Wieso musste die Kleidung nur so grauenhaft aussehen und so kratzen, er verstand es beim allerbesten Willen nicht.

Airis Schule tauchte auf, als die beiden um eine Ecke umbogen. Airi quietschte, ließ seine Hand los und rannte. "Airi!", rief Aikuro noch, doch seine Schwester war bereits vorgerannt. Sie winkte ihn zum Abschluss. "Bis heute Nachmittag, und viel Spaß in der Schule!"

Die letzten Meter zur Oberschule musste Aikuro alleine zurücklegen. Traurig und mit unangenehmem Kribbeln im Bauch schlurfte er über den Gehweg und fixierte fest die Straße.

"Bitte nicht, bitte nicht..."

Als der 18-Jährige den Klassenraum betrat, richteten sich die Blicke direkt auf ihn. Murmeln. Flüstern.

"Hallo, mein Name ist Aikuro. Ich stamme aus Osaka und freue mich, euch kennenzulernen". Peinlich berührt suchte er sich einen Platz und setzte sich auf die linke Seite des Klassenraumes. Neugierig, aber verschüchtert wanderte sein Blick durch die Reihen der Schüler. "Die meisten sehen nicht nach Ärger aus", dachte er sich etwas erleichtert. Verlegen stellte er fest, dass ihn ein Mädchen freundlich musterte. Sie war sehr klein und sehr zierlich. Ihre rosa Haare waren mit zwei Haarbändern mit roten Perlen zu zwei offenen Pigtails gebunden und sie trug dieselbe blauweiße Schuluniform wie die anderen auch. In ihrer Hand hielt sie einen Blaustift und vor ihr befand sich ein Malbuch, das sie ausfüllte. Ihr rosa Rucksack und die Hello Kitty-Trinkflasche verstärkten in Aikuro das Gefühl, das mit dem Mädchen etwas nicht stimmen konnte. Als sie seinen Blick bemerkte, und ihr auffiel, dass sie ihn über mehrere Sekunden angeschaut hatte, passte sich die Farbe ihrer Wangen der ihrer Haare und ihres Rucksack an und beschämt rubbelte sie die Spitze des stumpfen Stiftes über das Papier. Merkwürdig.

Es dauerte nicht lange, und ihr Lehrer für Mathematik betrat den Klassenraum. Er begrüßte Aikuro und begann den Unterricht.

"Eigentlich ein netter Mann", dachte sich der Schüler, "bisher lässt es sich hier gut aushalten". Sein Blick streifte durch die Klasse. Er erschrak. Wieder dieses Mädchen. Sie hatte eine Strähne ihres Haares um ihren rechten Zeigefinger gewickelt und sich einen gelben Stift in den Mund gesteckt, um abgelenkt daran zu kauen, während sie ihm erneut Blicke zuwarf. Ihre stechend blau-grauen Augen durchbohrten ihn wie ein Laserstrahl. Sie war nun verstohlener und tat es heimlicher, doch Aikuro konnte es genau erkennen, und als sie merkte, dass er es schon wieder sah, warf sie den Kopf zur rechten Seite und krallte sich mit den Fingerkuppen in den Tisch.

"Entweder ist sie gut durch den Wind, total neugierig und ängstlich, oder etwas etwas stimmt mit ihr nicht", dachte Aikuro sich.

Als die Mathestunde zu Ende war, wurde er direkt von einem Klassenkameraden angesteuert.

"Hallo, dein Name war Aikuro, nicht wahr? Ich bin Ken, freut mich, dich kennenzulernen!" Erleichtert schüttelte der Neue Ken die Hand. Es tat sehr gut, so schnell in die Klasse gemeinschaft aufgenommen zu werden. "Willst du mit uns die Pause verbringen? Wir spielen immer Tischtennis an dem roten Zaun".

"Roter Zaun?"

"Ach ja, du kennst dich hier ja nicht aus. Keine Sorge, das wird schon".

"Ich würde sehr gerne mit euch die Pause verbringen", und Aikuro sagte es mit Nachdruck und aus vollster Überzeugung. Und so verließ er das Schulgebäude mit Ken, zu dem sich ein paar weitere Jungs und Mädchen gesellten.

Schnell wurde er in die Klassengemeinschaft aufgenommen. Seine neuen Freunde erklärten ihm nicht nur, was man in der Schule, sondern auch in Kobe generell so anstellen konnte. Er lachte, spielte Tischtennis und siegte hin und wieder, doch als Ken ihm auf die Schulter klopfte und Aikuro sich umdrehte, erschrak er leicht. Da war sie wieder, das Mädchen aus dem Matheunterricht, und sie drehte den Kopf schnell weg, als sie ihm bemerkte. Sie stand mutterseelenallein an einem Baum in der Mitte des Schulhofs und nuckelte scheinbar gedankenverloren an ihrer Trinkflasche. Es war eine, wie sie Aikuro noch aus der Grundschule kannte, mit großem Saugverschluss, und jetzt tat sie ihm einfach nur noch leid, wie sie so alleine dastand, ihm beim Spielen zusah und niemanden hatte. Deswegen musste sie sich so komisch verhalten haben. Sie war einfach einsam und hatte gehofft, in ihm endlich einen Freund zu finden.

"Ignoriere Mitsuki besser. Die ist ein bisschen durch den Wind", flüsterte Ken ihm dann zu. "Ich habe sie noch niemals mehr als zwei Worte am Stück sagen hören, und sie interagiert mit absolut niemandem. Mein Gott, hält sie sich für ein kleines Kind, so wie sie rumläuft? Sie ist 18 Jahre alt, schämt sie sich denn gar nicht?!"

Aikuro kannte dieses Mädchen nicht, doch diese Worte taten ihm sehr weh. Er wusste doch zu gut, wie sich Einsamkeit anfühlte.

"Ich werde sie fragen, ob sie mitspielen will", murmelte der Neue und schritt auf sie zu. Ken sagte nichts.

Als Mitsuki, wie Ken sie genannt hatte, seine Schritte näher kommen hörte, schoss ihr Kopf panisch hoch. Ihre Augen wurden groß, ihre seefarbene Schönheit schlug ihm entgegen. Sie wurde knallrot und klappte die Flasche zu.

"Hallo, ähm... Mitsuki? Ist das korrekt?"

Sie antwortete nicht, starrte nur, wie ein Reh im Scheinwerfer eines Autos. Dann schlug sie die Augen nieder und drückte ihre Flasche an sich.

"Ich habe mich gefragt, ob du mit uns spielen möchtest? Wir könnten eine weitere Spielerin gut gebrauchen!"

Wildes Kopfschütteln.

"Ähm, na gut. Ich- wo kommst du her?"

Was eine selten dämliche Frage. Mitsuki zuckte mit den Schultern und drehte aufgeregt eine Strähne zwischen den Fingern. Sie wagte nicht, ihn anzuschauen.

" Du weißt nicht wo du herkommst?"

Keine Antwort.

"Na schön. Ich würde mich sehr freuen, wenn du dich uns anschließen würdest. Ich würde meine neue Klasse gerne besser kennen lernen".

Sie schaute ihn an. Strahlender Glanz ihrer Augen. Er war gefesselt. Aber nicht für lange, da drehte sie sich um und lief davon.

Seufzend trat Aikuro zur Platte zurück. "Die Arme, sie muss schreckliche Angst davor haben, abgewiesen zu werden".

"Die ist einfach ein bisschen komisch", antwortete Ken, "und jetzt streng dich an! Wir verlieren gleich!"

Am Ende des Schultages schloss Aikuro die Haustüre von Zuhause auf. Seine Großeltern lebten etwas abseits des Metropolenlebens in einem kleinen, aber feinen Häuschen. Seine Großmutter stand am Herd, während sein Großvater mit seiner Schwester Mahjong spielte. Alle sahen auf, als er hereinkam, und er wurde mit Fragen zum ersten Schultag überschüttet. Er erzählte von seinen netten Lehrern, von seinen neuen Freunden, wie ihm die Schule gefalle. Seine Familie war mit seinen Antworten zufrieden, und nachdem das Essen aufgetischt und hungrig gegessen worden war, setzte Aikuro sich an seine Hausaufgaben.

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