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Neuorganisation Kap. 01

0. Einleitung

Es war Sonntagabend und er war früh genug heimgekehrt, um noch ausschlafen zu können. Herbert Meyer öffnete die Tür zu seinem respektablen Apartment und entledigte sich vergnügt pfeifend seiner Jacke. Er betrachtete sich zufrieden im Spiegel. Er sah zwar die ersten deutlichen Anzeigen von ergrauenden Schläfen in seinen dunkelbraunen Haaren und den leichten Ansatz eines Bauches, aber da er mit seinem Leben rundum glücklich war, sah er dieses nicht mit dem Missvergnügen, das er wenige Jahre zuvor sicherlich bei diesem Anblick empfunden hätte. Sein Leben verlief genau in der Bahn wie er sich das so vorgestellt hatte -- sein Job als Verwaltungsbeamter war sicher und nicht zu fordernd, deshalb konnte er seinem Hobby in ausreichendem Maß nachgehen.

Vor gut drei Jahren war er ein an sich selbst zweifelnder später Mittdreißiger gewesen, der sich gefragt hatte, ob er seine wechselnden Beziehungen nicht doch lieber auf die von ihm ungeliebte Basis einer Ehe stellen sollte -- und dann war Susanne gekommen. Sie war genau die richtige Freundin für ihn. Seine vorherigen Partnerinnen hatten ihm ausnahmslos nach spätestens zwei Jahren früher oder später die große Frage nach einer gemeinsamen Zukunft gestellt, was ihn postwendend unter Druck gesetzt hatte und bis dato unweigerlich zu einem Zerwürfnis geführt hatte. Egal, wie attraktiv ihm die Frau erschien, diese Frage löste reflexartig eine Panik in ihm aus -- die Panik sich festlegen zu müssen, sich zu binden oder gar eine Familie zu gründen, was er einfach nicht konnte und auch nicht wollte. Aber nach drei auf diese Art gescheiterten Beziehungen hatte er sich doch die Frage stellen müssen, ob er noch Frauen ohne ein Zukunftsversprechen an sich binden könne, weil die Beziehungsdauern nach seinem 35. Geburtstag kürzer und kürzer geworden waren. Aber dann kam Susanne, die sich damals wegen ihres noch nicht beendeten Studiums auch nicht binden wollte und ihm dies auch so signalisiert hatte. Es war die absolut ideale Beziehung -- sie sahen sich nur an den Wochenenden, aber ansonsten genoss er alle die für ihn relevanten Vorzüge einer Ehe ohne die nachteiligen Folgen einer solchen ertragen zu müssen.

Susanne war zwar mitunter schlecht gelaunt, weil sie nach seiner Meinung zu hart an ihrer finanziellen Selbständigkeit arbeitete, aber sie war deswegen auch nicht so anspruchsvoll wie einige seiner vorherigen Freundinnen. Jedenfalls war ihr schönster Vorzug zweifellos, dass sie ihn noch nie auf eine Heirat oder gar Kinder angesprochen hatte und auch nicht auf eine gemeinsame Wohnung gedrängt hatte, selbst nicht nach ihrer jüngst erfolgten Beförderung zur Stellvertreterin des Niederlassungsleiters. Sie trafen sich regelmäßig jedes Wochenende am Freitag oder Samstag zum Ausgehen, und fuhren dann in ihre Wohnung. Es war die bestmögliche Beziehung für ihn!

Herbert freute sich jeweils auf die Wochenenden mit Susanne, genoss aber seine Freiheit während der Woche. Alleine zu sein war keine Last für ihn, sondern eher ein Genuss, solange er im Freundeskreis und auf der Arbeit nicht als Single erschien. Die zwei Jahre vor Susanne, als er alleine gewesen war, ohne eine ständige Freundin zu haben, hatten ihm doch irgendwie zugesetzt. Die mitleidigen Blicke seiner verheirateten Freunde und Kollegen, wenn er ohne Begleitung auf Feiern erschien, hatten ihn belastet. Aber jetzt war ja alles in Ordnung. Er machte sich keinen Kopf über die Zukunft -- die Gegenwart war einfach zu gut, um sich darüber graue Haare wachsen zu lassen.

Er hatte sie in einer Apotheke kennen gelernt, als sie gerade Arzneimittel für ihren kranken Vater abgeholt hatte. Er war überrascht gewesen, als sie seine spontane Einladung zu einer Feier annahm und sich dann auch noch tatsächlich mit ihm erneut danach traf. Sie erschien ihm nach diesen drei Jahren immer noch so attraktiv weiblich wie sie ihm damals in der Bar als Neunundzwanzigjährige erschienen war. Zunächst hatte er sie dort nur von hinten betrachten können. Ihre aus dieser Perspektive ausgesprochen weibliche Silhouette hatte ihn damals schon angesprochen, als sie beim Tanzen ihre so schön ausladenden Hüften und den ausgeprägt kurvigen birnenförmigen Po so unbewusst suggestiv in ihrer engen Jeans bewegt hatte. Gut, als sie sich umdrehte war es klar, dass sie keine dieser eleganten langbeinigen Schönheiten mit großem Busen und makellosen Gesichtszügen war, wie sie auf den Titelseiten seiner bevorzugten Herrenmagazine zu sehen waren, aber dafür hatte sie eine schmale Taille und ein herzförmiges Gesicht mit entzückenden Sommersprossen, das ihre eher kurze Gestalt und die nicht so üppigen Brüste vergessen ließen.

Auch am nächsten Morgen war seine Laune immer noch blendend, obwohl der Sonntagmorgen in Düsseldorf nicht sehr vielversprechend vom Wetter her aussah. Das heftige Gewitter in der Nacht hatte eine empfindliche Abkühlung bewirkt und ein leiser Nieselregen machte die Wetteraussichten nicht besser.

Ungefähr 1000 km weiter östlich war Maria Galinski's Laune zum selben Zeitpunkt alles andere als blendend. Sie entsprach beinahe dem Ideal aus Herbert Meyer's Vorstellungen. Sie war ebenso wie Susanne bei der gleichen Firma beschäftigt. Sie war ebenso wie er eigentlich nur indirekt mit der Firma verbunden, aber ihr beider Leben würde durch die Firma stark beeinflusst werden. All das würden beide erst viel später erfahren.

Es war schwer auszuhalten für Maria. Sie lebte wieder im Hause ihrer Eltern, nachdem sie ein Studiensemester in Russland verbracht hatte. Ihre Mutter und ihre ältere quasi geschiedene Schwester Teresa zankten sich untereinander - und mit ihr. Seit zwei Wochen gab es jeden Morgen dasselbe Theater. Seit sie unvorsichtigerweise zugegeben hatte, dass auch ihr ‚Chef' Igor Kalinin bei der Konzern AG ihr einen Antrag gemacht hatte, ging das so. Denn daneben gab es noch den Antrag, den ihr Cousin Piotr Galinski bei ihrem Vater gemacht hatte. Natürlich waren beide der älteren Frauen Feuer und Flamme, denn in ihren Augen war Maria mit ihren bald 25 Jahren ein ‚spätes' Mädchen. Ihre Mutter seufzte: „Maria, ich weiß nicht was ich noch sagen soll. Praktisch alle Deine Klassenkameradinnen aus der Schule sind bereits verheiratet!" Maria rollte die Augen ob des bekannten Themas. In ihrer Kleinstadt war die Struktur noch eher dörflich und agrarbetont. Die meisten Mädchen heirateten im Durchschnitt mit knapp 22 Jahren, aber die meisten von ihnen hatten auch nicht wie sie eine Hochschulausbildung.

Beide waren auch der Meinung, dass solche Männer ein Hauptgewinn waren. Piotr war der Favorit ihrer Mutter -- er war reich und er war streng katholisch und er hatte zuerst ihren Mann angesprochen, bevor er überhaupt mit ihrer Tochter Maria über Heirat gesprochen hatte. Igor war der Favorit von Teresa -- er verdiente als Geschäftsführer sehr viel und war mit Maria's Job einverstanden. Zudem war er gut aussehend und hatte Maria schon öfter gut ausgeführt, und an einigen Tagen auch Teresa mitgenommen zu Kulturaufführungen. Einig waren sich die beiden älteren Frauen darin, dass sie beide nicht verstehen konnten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, warum sie sich noch nicht binden wollte.

Maria fand Piotr durchaus nett als Cousin, aber auch nicht mehr. Sie schätzte seine Würdigung der katholischen Traditionen, denn sie selbst war in dieser Hinsicht auch konservativ. Andererseits wollte sie erst ihr Forschungsprojekt beenden, womit er nicht einverstanden wäre, denn er wollte sie sobald wie möglich heiraten, wie er ihrem Vater nachdrücklich gesagt hatte, denn Piotr verlangte von Maria die Aufgabe jedweder Berufstätigkeit zugunsten der Mutterschaft.

Ihre Weigerung ihr Projekt abzubrechen, war für ihre Eltern irrsinnig, denn eine Heirat war in ihren Augen viel wichtiger als die Studienarbeit. Außerdem würde Maria nach deren Ansicht sowieso gleich nach der Heirat schwanger werden und damit war ihr Beruf nebensächlich. Das und die Tatsache einfach zu ignorieren, dass sie mit Piotr noch nicht einmal alleine ausgegangen war, ärgerte Maria jedes Mal bei der Diskussion mit ihren Eltern. Das Argument, das die Liebe schon nach der Heirat kommen würde, konnte sie schon nicht mehr hören.

Maria fand Igor attraktiv. Er war nicht nur mit ihrer Studienarbeit einverstanden, er hatte ihr auch das Stipendium verschafft, als ihr Professor Firmen angeschrieben hatte. Weiterhin verlangte er als ihr Chef sogar die Vollendung dieser Arbeit bis spätestens zum nächsten Jahr, was ihr nur recht war. Er war zwar de jure nicht ihr Chef, da sie als studentische Praktikantin in der Firma arbeitete und nicht angestellt war, aber de facto arbeitete sie nach seinen Anweisungen. Sie hatte ihn bis dato gerne als ihren festen Freund gehabt.

Aber vor zwei Wochen wollte er auf einmal so schnell wie möglich mit ihr zusammenziehen, denn seine Geduld mit Pettingspielen war schon seit einiger Zeit erschöpft. Er fühle sich zu alt, um noch bald ein Jahr auf richtigen Sex zu warten. Nach seinen Worten war es ihm egal, ob dies nun mit offizieller Verlobung oder Heirat geschah, solange er sie ‚richtig' in sein Bett bekam. Es kam zum ersten heftigen Streit zwischen ihnen, als er Klartext mit ihr redete. Gleichzeitig wollte er auf keinen Fall einen Abbruch des für die Arbeit wichtigen Projektes durch Schwangerschaft und bestand auf optimaler Empfängnisverhütung. Auf ihren fragenden Blick machte er auch das deutlich klar, als er aus dem Schreibtisch im Büro ein verpacktes Kondom und eine Packung Antibabypillen hervorholte.

Ein anständiges katholisches Mädchen braucht ‚so etwas' genauso wenig wie eine anständige Ehefrau, das hatte sie immer wieder von ihrer Mutter und ihrer weiblichen Verwandtschaft gehört - und der in Polen beliebte Papst Johannes Paul II behauptete es ebenso. So hatte sie Igor diplomatisch bedeutet, dass sie Zeit für eine Entscheidung brauchen würde, was er nicht so positiv aufgenommen hatte. Sie fand ihn zu liberal in seinen Auffassungen, um ihn als geeigneten Ehemann betrachten zu können, aber mochte ihm das nicht sofort sagen. So einigten sie sich auf eine Auszeit zur Entscheidungsfindung.

Für Teresa war die Maria's Abschlußstudienarbeit gleich wichtig wie das Zusammenziehen. Die Erlangung einer staatlichen Stelle würde Maria's Unabhängigkeit sichern, während das Zusammenleben als verlobtes oder verheiratetes Paar sein Interesse an ihr während dieser Zeit sichern würde. Teresa hatte nie ihr Trauma überwunden, dass ihr Ehemann sie verlassen hatte, weil er während seines Auslandsaufenthaltes eine andere gefunden hatte, während sie alleine in Polen zurückgeblieben war. Das Trauma war umso stärker ausgeprägt, weil er sie während ihrer Verlobung doch um mehr als nur keusche Küsse gebeten hatte. Der Sex am Abend ihrer Hochzeit mit ihrem komplett besoffenen Ehemann war alles andere als Sex. Am nächsten Morgen hatte er seinen Job in Sibirien angetreten und dort diese russische Schlampe kennengelernt. Teresa bedauerte nun zutiefst, dass sie den Ratschlägen ihrer Mutter gefolgt war und ihm jedwede weitergehende Intimität in der Verlobungszeit abgelehnt hatte -- sie war überzeugt, dass er immun gegen diese sibirische Hure gewesen wäre, wenn sie ihm mehr vor der Hochzeitsnacht erlaubt hätte. Es war demütigend gewesen, als die schriftliche Scheidung eintraf. Sie hatte nichtsahnend brav auf seine Rückkehr gewartet, ohne weitere Schritte für ihre Ausbildung zu unternehmen, abgesehen von der Haushaltschule. Jetzt war sie auf ihre Eltern angewiesen, denn ihre niedrige Qualifikation ermöglichte ihr keinen Job, der einen eigenen Haushalt bezahlte. Andererseits war ihr Status als ältere Frau mit geschiedener Ehe für die meisten polnischen Familien mit heiratsfähigen Söhnen in ihrer Kleinstadt schlicht inakzeptabel und sie würde vermutlich als Single enden. Daher war nun ihr Ratschlag nicht auf das Ideal der Enthaltsamkeit vor der Ehe zu setzen.

Das wiederum führte regelmäßig zum Aufschrei ihrer streng katholischen Mutter, weil dies mit ihren strengen katholischen Vorstellungen zur Ehe nicht vereinbar war. Man durfte als katholisches verlobtes Paar keine weitergehenden Intimitäten pflegen, sonst war die Hochzeit als Jungfrau nicht schicklich. Sie wolle nicht, dass ihre Töchter sich wie Huren benehmen würden! Teresa und ihre Mutter standen sich wie Kampfhennen gegenüber.

Maria war in den Wochen vorher immer geduldig gewesen und hatte höflich zugehört. Heute platzte ihr diesmal richtig der Kragen, denn sie war diese sich ewig wiederholende Diskussion leid: „Meine Güte! Wie oft muss ich Euch beiden noch sagen, dass ich erst dann heiraten möchte, wenn ich meine Studienarbeit beendet habe - und wenn ich heirate, dann in Weiß mit allem was dazu gehört. Es gibt noch mehr Männer als nur Piotr und Igor, und ich habe keinen Mangel an Verehrern."

Sie blickte ihre Schwester an. „Teresa, schimpf' mich altmodisch, aber ich glaube daran, dass eine Katholikin als Jungfrau in die Ehe gehen sollte und Mama hat recht, wenn sie sagt, dass Empfängnisverhütung nur nach katholischen Regeln zulässig ist."

Sie holte noch einmal Luft und wand sich ihrer Mutter frontal zu, deren prüde Sprachweise sie im Zeitraum vorher immer akzeptiert hatte. „Mama, Du bist einfach zu altmodisch. In der heutigen Zeit braucht eine Frau eine Ausbildung und man kann nicht wie Du mit sechzehn heiraten. Ich werde wegen Dir nicht meine Ausbildung abbrechen, nur um ja schnell genug meine Beine für Piotr Kalinski breit machen zu können und mir ein Kind machen zu lassen! Aber genauso wenig werde ich mir sagen lassen, dass ich mir von Igor nicht zwischen den Beinen streicheln lassen durfte, wenn ich mehr als nur keusche Wangenküsse wollte!"

Für einen Moment war es mucksmäuschenstill im Raum nach ihrem lautstarken Ausbruch, während ihre Mutter geschockt und missbilligend den Kopf schüttelte. Dann kicherte Teresa nervös und beide fassten sie jeweils eine Hand von ihr und sagten unisono, wie schon an den Tagen vorher: „Wir wollen doch nur das Beste für Dich, Maria!"

Ihre Mutter bestand noch auf einem Gespräch, dass sie später am Abend zu führen hätten. Maria konnte sich schon vorstellen, um was es da gehen sollte. Und richtig, am Abend fragte ihre Mutter sie etwas verklausuliert, aber doch beharrlich, wie sie das denn gemeint hätte mit ihrer Bemerkung zu Igor.

Maria seufzte und machte sich dann doch ans Antworten: „Mama, Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen. Ich habe Dir und Teresa heute Morgen erklärt, dass ich beabsichtige als Jungfrau zu heiraten -- und ich werde mich daran halten. Mehr brauchst Du nicht zu wissen!"

Ihre Mutter gab sich damit nicht so recht zufrieden, aber Maria blieb hier hart. Sie hätte ihr erklären können, dass sie als Grundregel ihre Schlüpfer noch bei keinem Mann ausgezogen hatte, aber das hätte nur wieder zu weiteren Diskussionen geführt, was sie denn nun ausgezogen oder sonst wie gemacht hatte -- und das wollte sie nicht. Die Diskussion darüber mit Igor war schon in der anderen Richtung unerfreulich genug gewesen. Er hatte ihr schon wiederholt vorgeworfen, sie sei ein Luder, das ihn nur heiß machen wolle. Bis auf das letzte Mal hatte sie ihn immer wieder auf die eine oder andere Art beschwichtigen können, aber es war immer schwieriger geworden.

1. Der Abend des ersten Arbeitstreffen

Herbert Meyer war trotz der Vorankündigung unangenehm berührt, als Susanne ihm am Freitagmorgen per Telefon bestätigte, dass sie sich dieses Wochenende leider nicht mit ihm treffen könne. Am Montagabend hatte er sich gefragt, ob dies vielleicht eine Krise in ihrer Beziehung war, als sie ihm dies als Möglichkeit angekündigt hatte, aber er hatte sich schnell wieder beruhigt, als er von der Lage in ihrer Firma hörte. Er hatte sich nur an die gemeinsamen Wochenenden so gewöhnt, dass ihn diese Abweichung von der Routine irritierte.

Susanne Berg war von seiner mangelnden Anteilnahme weder am Montag noch an diesem Morgen wirklich überrascht, denn sie wusste für ihn waren derartige Vorgänge nur schwer verständlich. Sein sicherer Arbeitsplatz machte es ihm nicht leicht, andere unsicherere Arbeitssituationen nachzuempfinden. Andererseits schmeichelte es ihr, dass er so deutlich enttäuscht gewesen war, sich nicht mit ihr treffen zu können. Sie überlegte sorgfältig, was sie in ihren Koffer packen sollte für diese Woche. Angesichts des aktuell eher trüben Wetters packte sie trotz der vorgesehenen warmen Wettervorhersage wärmere Sachen mit ein. Seit dem Gewitter am Wochenende war das Thermometer am Rhein nicht über 17° C hinaus geklettert.

Sie machte sich am frühen Vormittag per Bahn auf den Weg zu dem Hotel, das ihr als Tagungsort genannt worden war. Dort eingetroffen, informierte sie eine Nachricht darüber, dass die Buchhalterin aus England und der Logistikleiter aus Frankreich bereits angekommen waren. Sie hatte ihren Koffer noch nicht ganz ausgepackt, als ein Telefonanruf sie darin störte. Herr Burg lud alle anwesenden Mitarbeiter in zwei Stunden zum Abendessen in das Restaurant ein. Er wisse aber noch nicht ob die in der Email angekündigten Mitarbeiter aus Österreich, Polen und Spanien schon eingetroffen waren.

Nach dem Auspacken entschloss sie sich für einen kurzen Rundgang um das Hotel. Sie verließ das Hotel rechts über den Eingang, den sie bei der Ankunft benutzt hatte, als sie per Taxi durch den Mischwald vom Bahnhof gekommen war. Das Hotel lag vor den Toren der Kleinstadt an einem hübschen See. Als sie an dem zweistöckigen Gebäude die rasenbekleidete Böschung auf dem kleinen Sandweg herunterstieg, erkannte sie die elegante Ausnutzung der Hanglage. Der Keller war in Wahrheit das zum Strand hin offene Untergeschoss. Sie identifizierte das Restaurant, das sich damit quasi im ersten Stock des Hotels befand. Es ermöglichte damit einen schönen Ausblick zum See auf der Balkonterrasse, während dessen Eingang zur Straßenseite einen ebenerdigen Zugang ermöglichte. Gleichzeitig bot das Untergeschoss direkt unter dem Restaurant eine gemütlich aussehende Bar mit direktem Strandzugang für die wärmeren Monate. Links daneben befand sich ein kleines Hallenbad für die kälteren Monate. Es befand sich auf der bewaldeten Seite des Seeufers. Überwiegend Kiefern, aber auch einige Birken bevölkerten diese Seite des Hotels, durch den ein kleiner Waldpfad wieder zur Rezeption der Gaststätte führte.

Wieder zurück auf ihrem Zimmer überlegte sie kurz, ob sie sich schon umziehen sollte oder lieber noch ein kleines Nickerchen nach der anstrengenden Bahnfahrt halten sollte. Sie entschloss sich für den angenehmeren Part. Als ihr Handy den Termin per Klingelton ankündigte, wachte sie erschrocken auf. Sie hatte beinahe das Abendessen verschlafen. Es blieb ihr nicht mehr viel Zeit. In zehn Minuten konnte sie sich entweder schnell umziehen oder noch einmal im Bad frisch machen und die Zähne putzen. Nach dem Schlummer fröstelte sie leicht, also beschloss sie, sich weder von dem warmen Pulli zu trennen noch den bequemen hellblauen Jeansrock durch etwas Eleganteres zu ersetzten. Es war schließlich nur der Abend der Anreise und ein voraussichtlich kurzes Abendbrot, während der fiese Geschmack in ihrem Mund eine höhere Priorität für Aktion hatte.

1.1 Das Abendessen

1.1.1 Die Teilnehmer

Am Eingang zum Restaurant sprach sie ein Herr an, der sich als Johannes Burg vorstellte. Er war in einer dunkelblauen Hose und weiß-blau gestreiftem Hemd ohne Krawatte sowie einem sportlichen grauen Jackett gekleidet. Er lächelte sie freundlich gewinnend an und machte ihr Komplimente über ihr pünktliches Erscheinen. Es zahlte sich immer aus, bei einem ersten Kontakt eine positive Note zu finden. Neugierig war er vor allen Dingen in Bezug auf ihre Einstellung zum Konzern und musterte sie automatisch etwas intensiver als die Höflichkeit erlaubte, milderte dies aber geschickt durch Fragen nach ihrer Anreise. Gut, sie war alles andere als eine umwerfende Schönheit, er konnte sie aber trotz ihrer sehr simpel gehaltenen Kleidung auch nicht als komplett unattraktiv bezeichnen. In Übereinstimmung mit ihrem Erscheinungsbild schien sie auch keine große Erfahrung im Konzernkontext zu haben, denn sie stellte keine der Fragen, die ihm eine taktische Erfahrung signalisiert hätten. Er stufte sie vorläufig als harmlos und belanglos ein. Er hatte eine würdigere Gegnerin vom deutschen Standort erwartet.
Sie war angenehm überrascht - sie hatte ihn sich in seiner Funktion eher schroff vorgestellt. Er führte sie höflich zu dem Sechser-Tisch, wo bereits eine ca. 50-jährige korpulente Frau mit blondierten Haaren in einem langen, hochgeschlossenem Kleid und ein schlanker, eleganter Mann in seinen Mittdreißigern mit dunklen Haaren in hellbrauner Cordhose und hellblauem Oberhemd sowie ein bärtiger gut fünfzigjähriger Mann saßen. Er wechselte ins Englisch und präsentierte ihr die drei Personen. Der jüngere, französische Logistikmanager Bonaventura war Susanne trotz seines leicht arroganten Gesichtsausdruckes -- bei seinem unverschämt guten Aussehen vielleicht kein Wunder - durchaus nicht unsympathisch, während die Engländerin Helen Goodweather in ihrer eher abweisenden Art nicht ihren Beifall finden konnte. Der spanische Produktionsleiter Jaime Mendoza in seiner bequemen, blauen Jeans und dem beigen Pullover war schwerer für sie einzuschätzen. Dann rief Herr Burg den Oberkellner zwecks Bestellung eines Aperitifs, während er auf die schöne Aussicht auf den See hinwies, der vom Restaurant her gut zu sehen war.

In diesem Moment traf eine schlanke auffallende Frau ein, die sich als Maria Galinski aus Polen vorstellte. Sie lächelte gewinnend und etwas kokett in die Runde, während sie sich gerade für die Aufmerksamkeit aller Anwesenden bedankte. Ihre graziöse, hochgewachsene Figur steckte in einem eleganten und gut geschnittenen Glockenrock in hellblauem Seidenlook und in einer cremefarbenen Bluse, die ihren verführerischen Busen dezent unterstrich. Ihre langen wohlgeformten Beine wurden durch die modisch mit schwarzen Rauten verzierten Nylons und ihre cognacfarbenen Pumps betont. Sie war es erkennbar gewöhnt, die Aufmerksamkeit aller anwesenden Männer zu gewinnen. Susanne notierte amüsiert wie diese sichtlich irritiert wirkte, als der Franzose sich nach der erfolgten Vorstellung wieder in die Unterhaltung mit ihr vertiefte, noch bevor die Polin sich gesetzt hatte.

Susanne beobachtete wie die junge Frau den Franzosen deshalb musterte, bevor sie höflich neben dem Gastgeber Herrn Burg Platz nahm. Die Polin hatte ihren Blick von ihm losreißen müssen, denn der französische Mann machte einen Eindruck, der sich wohl von dem ihr bekannten typischen Muster eines Mannes unterschied. Erst einmal war sein olivfarbener Teint doch stark abweichend von dem Bild, das sie von polnischen Männern - selbst nach stärkeren Bräunungseffekten -- gewohnt war. Zweitens bewirkten seine tiefschwarzen Bartstubbeln am Ende des Tages einen Ausdruck auf seinem Gesicht, den sie wohl als verwegen und abenteuerlich empfand.

Gut, in Fernseh- und Kinofilmen hatte sie solche breitschultrigen und aufregenden Männer schon gesehen, aber hier an ihrem Tisch wirkte der Eindruck auf sie exotisch in einem vorher nicht geglaubten Ausmaß. Sie musste sich regelrecht auf ihr Gespräch mit dem Gastgeber konzentrieren, weil sich die Präsenz dieses sie ignorierenden Mannes irgendwie in ihr Unterbewusstsein rein fraß. Sie konnte einfach nicht umhin, ihn heimlich mehrmals zu mustern.

1.1.2 Die Vorspeise

Belustigt nahm dieser die Reaktion der Polin aus den Augenwinkeln zur Kenntnis, ohne jedoch davon auf irgendeine sichtbare Art Kenntnis zu nehmen. Er kannte diesen Typ Frau. Sie war durch ihr Aussehen so verwöhnt, dass sie automatisch annahm, dass ihr jeder Mann Aufmerksamkeit zollen musste. Natürlich sah sie umwerfend aus, und er schätzte es auch, dass sie sich in Szene zu setzen wusste, aber sein Interesse an ihr war nur lauwarm, denn sicher war sie zickig. Na ja, insbesondere bei solch jungen Frauen konnte man nur wirkliche Beachtung wecken, wenn man nicht wie alle anderen Männer mit heraushängender Zunge hinter ihr her lief. Er war inzwischen erfahren genug, um seine eigene Attraktivität beim weiblichen Geschlecht halbwegs einschätzen zu können. Er hatte lernen müssen, dass sein eigenes Verhalten ebenso wichtig war wie sein Aussehen. Innerlich zuckte er mit den Schultern -- er würde sich nicht in die Reihe seiner Tischnachbarn einreihen, die jedem Wort aus den liebreizenden Lippen der polnischen Schönheit lauschten. Seine deutsche Tischnachbarin war zwar in ihrem schlichten Outfit keine Offenbarung, aber dafür kannte sie Frankreich und einen Teil seiner Geschichte. Das war für einen Franzosen immer ein Thema.

Plötzlich spitzte er jedoch seine Ohren. In einem Gesprächsfetzen zwischen Herrn Burg und Frau Galinski hatte er mitbekommen, wie diese sich über die Wichtigkeit der katholischen Kirche in Polen ausließ und dann sich selbst als Katholikin beschrieb, die wieder bei ihren Eltern lebte. Unauffällig checkte er ihre Hände und tatsächlich, sie war wohl verheiratet, denn sie trug einen Ehering, lebte aber bei ihren Eltern. Das war vielversprechend.

Seine Jugend hatte Michel Bonaventura in einer erzkatholischen Kleinstadt in Spanien verbracht. Er hatte dort am Beispiel seiner Cousinen erfahren, dass die strengen katholischen Moralvorstellungen insbesondere für lebensfrohe Mädchen und Frauen nicht unproblematisch waren, die zwischen ihrer Sinnlichkeit und ihren eigenen Moralansprüchen beziehungsweise noch mehr denen ihrer Umwelt wählen mussten. Die eventuellen Heimlichkeiten aus diesem Konflikt bewirkten eine Intensität von sexuellen Handlungen, die er heutzutage bei den meisten vermisste. Seine ersten Liebschaften hatte er mit spanischen Mädchen aus dieser Stadt gehabt. Schon für ihn als Jungen war es damals nicht einfach gewesen, denn auch er hatte durch den Zwang zur ehrlichen Beichte mit Schuldgefühlen zu kämpfen gehabt. Selbst wenn sich der Priester gegenüber den Jungens bekanntermaßen viel nachsichtiger verhielt als gegenüber den Mädchen, so war es doch keine Kleinigkeit. Vielleicht war es nicht ganz richtig, aber seitdem faszinierten ihn junge katholische Frauen, die eine ausgeprägte Sinnlichkeit hatten und deswegen in ihrem katholischen Umfeld mit Schuldgefühlen zu kämpfen hatten. Er fragte sich ob die junge Polin in diese Kategorie fiel. Jetzt war seine Neugier geweckt und er musste es herausfinden. Unwillkürlich blickte er zu Maria Galinski hinüber - gleichzeitig plauderte er unverbindlich über Napoleon und Deutschland mit seiner deutschen Tischnachbarin.

In einer Hinsicht überraschte ihn in diesem Moment seine aktuelle Gesprächspartnerin, die sich zwar sichtlich geschmeichelt fühlte, dass er sich ihr bisher so intensiv gewidmet hatte, die sich aber nun ohne Zweifel keine Illusionen über das wahre Objekt seiner Begierde machte. Ihm wurde dies klar, als sie ihn mit einem feinen Lächeln nach seinen Kenntnissen über Napoleon und seine Frauen fragte, als er Napoleons zweite Ehegattin Marie Louise als Beispiel für deutschsprachige Verbindungen anführte. Als er sie fragend anschaute, erwähnte sie leise spöttelnd dessen vorherige polnische Geliebte Maria Walewska, die von dem französischen Herrscher zur Mätresse gemacht wurde, wobei sie den Namen Maria leise betonte. Er fühlte sich ertappt und durchschaut, jedoch verfügte er über genügend Selbstironie um auch selber darüber schmunzeln zu können. Er betrachtete sie mit erneuerter Aufmerksamkeit -- unter ihrem braven äußeren Aussehen verbarg sich ein wacher Verstand. Als Frau sprach sie ihn mit ihrem biederen Aussehen nicht an, aber sie war sicherlich eine intelligente Gesprächspartnerin. Für einen kurzen Moment überlegte er sich, ob er ihr Ratschläge für eine modischere Erscheinung geben sollte, entschied sich aber sofort dagegen. Sehr wahrscheinlich würde sie das als unerwünschte Kritik interpretieren. Außerdem würde es ihrer Selbstachtung nicht gut tun, wenn er das richtig bedachte.

1.1.3 Der Hauptgang

Unter seinen forschenden Augen verfluchte Susanne ihre eigene Bequemlichkeit. Sein etwas mitleidiger Blick bestätigte ihr, dass sie lieber eine Verspätung hätte riskieren sollen als sich das Umziehen aus Pünktlichkeitsgründen zu ersparen. Natürlich hatte sie einige Momente vor dem Heruntergehen zum Essen überlegt, ob sie sich umziehen sollte, aber sie hatte sich noch zu fröstelig gefühlt und hatte nicht mehr für ihr Aussehen getan als ihr Make-up aufzufrischen. Jetzt musste sie den Preis dafür zahlen, spätestens nach der Ankunft der Polin war sie definitiv ‚underdressed'. Sie kam sich unscheinbar und langweilig neben der glamourösen Frau vor, die die Blicke der Männer wie magisch anzog. Johannes Burg und Jaime Mendoza verbargen dies nur nicht so geschickt wie ihr eigener Gesprächspartner. Als Michel Bonaventura jedoch ihre gute Aussprache der französischen Speisenamen auf dem Menü komplimentierte, fühlte sie sich weniger schlecht. Sie wusste zwar, dass er dies hauptsächlich aus Nettigkeit tat und nicht weil er sie wirklich interessant fand, aber die Geste hatte etwas an sich. Außerdem war es nicht zu verachten, dass die Polin just in diesem Moment herüberblickte und für einen winzigen Augenblick Susanne daran glauben konnte, dass diese wie ein Fotomodell aussehende junge Frau sie beneiden könnte.

Im Laufe des Essens stellte Johannes Burg sich als Gourmet heraus, der in seinen Kenntnissen durchaus mit dem erklärten Weinkenner Michel aus Frankreich und dem Weinbrandfanatiker Jaime Mendoza aus Spanien mithalten konnte. Sowohl Maria als auch Susanne hatten am Wein nur genippt, während Helen und die Männer zuerst dem Weißwein und dann dem Rotwein gut zugesprochen hatten. Zum Abschluss des Mahles schlug Jaime Mendoza vor, dass man doch eine schöne Mousse au chocolat mit dem Konsum eines spanischen Solera-Weinbrandes verbinden sollte. Susanne erkannte wie auch die beiden anderen anwesenden Frauen sich genervte Blicke zu warfen, als die Männer sich sofort auf dieses Stichwort unnötige Diskussionen über die feinen Unterschiede zwischen spanischem Brandy, deutschem Weinbrand und französischem Cognac lieferten.

Schlussendlich deklarierte Helen Goodweather mit halbschwerer Zunge, dass sie sich auch ohne Kaffee und Dessert doch in Richtung Terrasse für einen Absacker bewegen wolle, worauf sich Jaime Mendoza ihr sofort anschloss. Dankbar nickte ihm Herr Burg zu, denn er schien es als eine gute Idee anzusehen, die bereits stark angetrunken wirkende Engländerin zu begleiten.

1.2 In der Bar

1.2.1 Der Absacker

Flexibel offerierte Michel Bonaventura allen anderen doch einen Cocktail in der Bar und Disco im Souterrain zu probieren. Herr Burg und Frau Galinski stimmten ihm sofort zu, während Susanne weniger enthusiastisch war. Am Tisch im Restaurant war das Augenmerk nicht auf den Unterbau der Körper gerichtet, denn das Tischtusch verdeckte doch Rock und Beine weitgehend, abgesehen von dem direkten Nachbarn, jedoch in der Bar war das anders. Aber der Franzose insistierte auf eine charmante Weise, die ihr keinen Ausweg ließ.

Als sie in der Bar ankamen, offerierte Herr Burg galant der Polin eine Sitzgelegenheit zu seiner Linken an dem Halbkreis der Bar-Theke. Die junge Frau schlüpfte in einer eleganten Weise auf den hohen Barstuhl und entfaltete dekorativ ihre endlos langen Beine, während sie ihren Rock sittsam ordnete. Die anwesenden Männer sahen es mit Freude, diese junge Frau hatte sichtlich Vergnügen daran bewundert zu werden und sie war noch jung genug, um leicht geleitet zu werden. Das versprach ihnen wohl ein Potential für ein Abenteuer voyeuristischer Art. Der Franzose setzte sich genau gegenüber von ihm und mied es offensichtlich der Polin ins Gesicht zu schauen.

Die ziemlich hohen Barhocker ohne Fußraste waren Susanne gar nicht lieb, denn sie war die kleinste aus der ganzen Runde. Sie fühlte sich entsetzlich tollpatschig, als sie sich mühsam auf den hohen Sitz heraufhievte und beinahe noch die Hilfe von dem französischen Kollegen benötigt hätte. Sie wünschte sich, dass ihre Beine länger wären oder sie zumindest eine elegantere Strumpfhose tragen würde anstelle ihrer schlichten Reisestützstrumpfhose in dem fleischfarbenen Ton, den auch uralte Omas benutzten. Sie hatte den scheußlichen Verdacht, dass die anderen die Herkunft ihrer Strumpfhose aus der Apotheke oder dem Sanitätshaus vermuten würden, obwohl sie aus dem Supermarkt direkt beim Abfahrtsbahnhof stammte. Einen Vergleich ihres rustikalen knielangen Jeansrockes mit dem auserlesenen Tellerrock der jungen Frau wollte sie noch nicht einmal in Gedanken erwägen. Sie wurde von ihren trüben Gedanken abgelenkt, als Michel Bonaventura die Frauen fragte, ob sie den klassischen Champagner-Cocktail bevorzugen oder sich für den exotischeren Belle de Nuit-Cocktail entscheiden würden. Susanne war für klassisch, während Maria die Exotik wählte.

Der gleich nach der Ankunft bestellte Cocktail wurde zügig serviert, während die Männer sich auf einen Cognac verständigt hatten. Die Polin fühlte sich anscheinend trotz der ganzen Aufmerksamkeit nicht völlig zufrieden. Bis jetzt war es ihr praktisch anscheinend noch nicht passiert, dass sie in kleiner Runde von einem Mann wie dem Franzosen so offensichtlich geschnitten wurde. Wenn er alle Frauen gleich behandelt hätte, würde sie das ja verstehen können, aber er sprach mit der Deutschen ganz wie selbstverständlich, während er sie gerade eben nur mit knappen Worten nach der Wahl des Cocktails gefragt hatte.

Diese Frau hatte den attraktiven Franzosen absolut mit Beschlag belegt. Es war deprimierend zu sehen wie dieser anziehende Mann selbst auf Manöver von ihr kaum reagierte, die sie aus ihrer Erfahrung als erfolgreich einschätzte, während er sich angeregt mit dieser Spießerin unterhielt. Dabei war diese Deutsche doch echt trutschig in ihrer Aufmachung! Es war zum Mäusemelken! Derjenige der reagierte war genau derjenige, den sie eigentlich nicht meinte. Der aalglatte Typ aus London war ihr unheimlich. Seit er sie nach ihrer Meinung zu Katholiken und Autorität befragt hatte, wurde sie das beklemmende Gefühl nicht los, dass er ihr irgendwie etwas mit ihr vorhatte, das ihr nicht geheuer war. Dieses Gefühl hatte sich noch verstärkt, als sie bewusst versuchte hatte, das Interesse von dem Franzosen durch das Kreuzen ihrer Beine zu wecken und der Berater aus London für einen Moment regelrecht geglotzt hatte auf eine Art, die ihr einen Schauer über den Rücken laufen ließ.

Sie leerte ihr Getränk schnell und dann leuchtete ihr Gesicht auf. Sie schob ihren Barhocker etwas zurück, unter dem Vorwand sich einen weiteren Cocktail beim Kellner zu bestellen. Sie wandte sich ihm zu und bestellte etwas. Dann fragte sie die beiden Männer beiläufig mit einem kurzen Seitenblick zu beiden, ob sie auch noch etwas bestellen wollten und reichte ihnen beiden jeweils eine Getränkekarte, um sich dann wieder dem Kellner zuzuwenden. Als sie damit deren Aufmerksamkeit hatte, kreuzte sie einen Moment später kokett ihre Schenkel, was ihren Rock hochrutschen ließ. Natürlich hatte sie so ihre Hände erst wieder frei, als die Männer die Karte jeweils ergriffen hatten. Erst dann konnte sie mit einer Geste, die wie automatisch aussah, ihren Rock wieder züchtig herabzuziehen.

Susanne nahm das Aufmerksamkeit heischende Manöver der jungen Frau bereits im Ansatz wahr. Männer waren mitunter ja so einfach zu manipulieren! Deren Blicke folgten der Bahn von Maria's Händen wie hypnotisiert, während die kleine Hexe geschickter Weise ihr Gesicht von den Männern abgewandt hatte und so angeblich davon nichts wahrnahm. Es war einfach frustrierend zu sehen, wie sich die Augen beider Männer - wie von einer synchronen Automatik gesteuert - auf den Rocksaum der slawischen Schönheit richteten, ohne Rücksicht auf ihre eigene Gegenwart zu nehmen.

Susanne kam sich in diesem Moment wie das hässliche Entlein vor. Maria warf Susanne einen kurzen triumphierenden Blick zu. In diesem Moment beschloss Susanne zwar nicht sofort auf ihr Zimmer zu gehen, aber doch nach dem Austrinken des Cocktails. Sie wollte sich nicht noch mehr deplatziert zu fühlen. Ein paar Minuten später kündigte sie das auch an. Beide Männer baten sie zwar höflich um ihr Bleiben, aber es war überdeutlich, dass ihnen dies nicht wirklich wichtig war und der Polin war es wohl eher willkommen.

Sie war allerdings überrascht, als sich Johannes Burg als nächster verabschiedete. Er hatte wohl mit ihrem Weggang nun realisierte, dass er als Diskussionsleiter wohl besser möglichen Komplikationen aus dem Weg ging. Der erleichterte Blick von der Polin als die deutsche Frau sich verabschiedete, und ihr hoffnungsvoller Seitenblick zu dem Franzosen hatte ihm anscheinend klar gemacht , dass er sich Illusionen hingegeben hatte. Es war keine gute Idee über ein Abenteuer mit der schönen Polin nachzudenken, während es ihm hätte klar sein sollen, dass sie mit dem Franzosen anbändeln wollte.

1.2.2 Der Tanz

Mit dem Weggang aller anderen konnte Michel Bonaventure es nicht mehr vermeiden, Maria Galinski direkt anzuschauen. Ihre dezent geschminkten hell blaugrauen Augen zogen ihn in ihren Bann. Ihr beinahe quadratisches Gesicht wurde durch die prominenten Wangenknochen in einer interessanten Art akzentuiert. Ihre blonden, nackenlangen Haare umrahmten ihr Gesicht, während ihr Pony sich bis auf die Oberkante ihrer sorgsam gezupften rotblonden Augenbrauen herabsenkte. Er konnte seine Faszination mit der begehrenswerten Polin nicht mehr abstreiten. Sie nippte inzwischen an ihrem dritten Cocktail, den sie beim Weggang von Herrn Burg bestellt hatte. Er musste sich ins Gedächtnis rufen, dass eine schöne Frau überrascht werden wollte. Spontan forderte er sie mit einem charmanten Lächeln auf Deutsch und auf Französisch zum Tanzen auf. Dafür konnte er noch genug Deutsch, das er von einem Kommilitonen an der Sorbonne gelernt hatte, auch wenn sein Akzent sicherlich grausam klang. Maria Galinski gab ihm keinen Korb, als sie seine Aufforderung lächelnd bejahte. Michel war froh, dass seine Überraschung gut funktioniert hatte. Sie hätte auch unwilliger reagieren können.

Instinktiv wechselte er nach dem Tanzen vom Siezen auf das Duzen und sie folgte ihm auch damit ohne Zögern. Er vermied das bisher in der Runde genutzte Englisch, um nur ja keine Verbindung zur Arbeit anklingen zu lassen, sie verstand ja genug Französisch und ausreichend Deutsch. Jetzt konnte er seine Neugier nicht mehr bezwingen und begann das Gespräch geschickt mit der Verknüpfung von einem Kompliment und dem Thema, das ihn mitunter obsessiv verfolgte. Er fiel ins Französische, weil er sich dort leichter ausdrücken konnte. „Maria, wenn Du mich nicht gut genug verstehst, können wir ins Deutsche oder wenn es gar nicht anders geht, auch ins Englische wechseln. Lasse mich Dir sagen, dass Du schick und sexy aussiehst. Vorhin habe ich Dich sagen hören, dass Du Katholikin bist -- und ich bin selber katholisch erzogen worden. Gehst Du denn auch zur Beichte?"

„Ist die Beichte beim Priester mitunter genauso heikel -- wie es das manchmal für mich ist, wenn ich Freundinnen habe?" Er lachte leise auf, als er sofort an ihrer Reaktion in Form der Körpersprache erkannte, wie heikel es sein konnte. Das versprach ja mehr als interessant zu werden. „Glücklicherweise für alle Beteiligten habe ich zurzeit keine feste Freundin." Das war zwar nur die halbe Wahrheit, aber da die betreffende Frau noch nicht geschieden war, wusste außer seinem Priester kein anderer etwas darüber. Und wenn sie offiziell geschieden war, dann würde sie nach einer Weile Freunde und Bekannte sehen wollen, was er wegen seiner katholischen Familie nicht konnte und wollte. Und dann würde es wieder vorbei sein.

1.3 Unter dem Sternenhimmel

Maria wusste nicht so recht, was man auf so eine Frage antworten soll. Sie errötete leicht, als sie ausweichend erklärte, dass ein Sündenbekenntnis ja immer mit Schuldgefühlen verbunden sei. Sie fühlte sich verunsichert durch diese Frage. Wollte er nur wissen ob sie einen Freund hatte oder weshalb fragte er das in dieser Form? Vielleicht war es auch das Sprachproblem. So murmelte sie leise, dass sie keinen Partner mehr hätte. Das war zwar nicht ganz richtig, aber auch nicht wirklich falsch, denn sie wollte sich ja von Igor trennen, hatte das sich nur noch nicht getraut ihm das zu sagen, weil er ja auch ihr Chef war.
Sie war erleichtert, als der Franzose ihr darauf vorschlug gleich noch einmal zu tanzen. Vermutlich war es also nur die Frage nach ihrem Freund gewesen, die ihn hatte zögern lassen, was ja eigentlich für ihn sprach. Diesmal war es ein langsamer Walzer. Er führte sie so formvollendet und sicher, als ob sie schon lange Zeit gemeinsam in der Tanzschule wären. Sie genoss die Drehungen, in denen er sein rechtes Bein fordernd zwischen die ihren stellte. Ihre Hand auf seiner Schulter spürte das Spiel seiner Muskeln. Dann glitt seine Hand von ihrem Schulterblatt tiefer herab auf ihren Rücken, er zog sie in den Drehungen stärker an sich heran und die Drehungen wurden viel enger. Ihr Herz fing an zu pochen. Seine linke Hand löste sich von der ihren und er zog sie nun auch mit der linken Hand an sich heran.

Dann küsste er sie. Sie schloss die Augen als seine Zunge in ihren Mund drängte. Sie umfasste nun seinen Nacken und genoss den Kuss voll. Im nächsten Moment wurde der Walzer beendet. In der plötzlichen Stille fühlte sie sich unwohl, als sie an die anderen Leute in der Bar in ihrer Nähe dachte. In ihrer Heimat konnte man sehr schnell ins Gerede kommen, wenn man als junge Frau oder Mädchen bei leidenschaftlicheren Küssen beobachtet wurde, insbesondere wenn dies in kurzer Zeit mehr als nur einen Mann betraf. Ihre Sorge war nicht sehr rational, sie war ja hunderte und hunderte von Kilometern von ihrer Heimat entfernt. Hier kannte sie sicherlich keiner und schon gar nicht ihre noch nicht ganz beendete Beziehung zu Igor, aber die unschöne Empfindung beobachtet zu werden, ließ sich nicht aus ihrem Gehirn vertreiben. Sie beendete den Kuss, und gab ihm zu verstehen, dass man doch bei der schönen Abendluft auch durch die offene Terrassentür ins Freie gehen könne, wobei sie mit einem Seitenblick auf ein anderes nahe stehendes Paar andeutete, was ihre Motivation für diesen Vorschlag war. Sie war erleichtert, als er verstehend nickte.

Hand in Hand wanderten sie um die Ecke zum Waldesrand, der bald nicht mehr von der beleuchteten Terrasse illuminiert wurde, sondern gegenüber dem dunklen Block der Hotelzimmer lag. Sie waren jetzt von der Dunkelheit geschützt. Er nahm sie in seine Arme und lehnte sie sanft gegen den Stamm eines Baumes. Er begann sie wieder zu küssen.

Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch, als seine beiden Hände sie tiefer und tiefer am Rücken streichelten. Dann machte sich seine rechte Hand selbständig und glitt langsam von hinten ihren Oberschenkel liebkosend unter ihren Rock. Sie öffnete ihren Mund weiter und übte mit ihrer linken Hand Druck auf seinen Hinterkopf aus, um seinen Kuss noch tiefer zu machen. Sie atmete tief durch die Nase ein, als seine Hand über das Spitzenband ihrer Strümpfe glitt und ihre nackte Haut traf. Sie spürte seine Finger, als ob diese elektrisch geladen wären. Sein unverzügliches genüssliches Brummen machte ihr seine Bewunderung unmissverständlich klar.

Sie zögerte erst einen Moment. Sie hatte Skrupel dies nach so kurzer Zeit zuzulassen - ein ‚anständiges' Mädchen tat das nicht. Dann warf sie ihre Bedenken über Bord. Sie zog ihn leidenschaftlich mit ihrer rechten Hand näher heran, wollte seinen Körper noch näher haben. Sie schloss ihre Augen -- noch mehr fühlen. Als willkommene heißblütige Reaktion fühlte sie, wie er sich sofort so stark an sie drückte, dass er ihren Rücken schonungslos gegen die borkige Rinde der Kiefer quetschte. Sie fühlte seine harte Männlichkeit durch die eng zusammengepressten Lagen ihrer Kleidungsstücke hindurch, während sie ihre Beine automatisch spreizte, um einen sichereren Stand gegen seinen Ansturm zu bekommen. Sie nahm ihren beschleunigten Atem wie von außen wahr.

Als sie ein Kichern von irgendwoher vernahm, wurde sie nervös. Sie öffnete ihre Augen wieder, um zu erkennen dass im Hotel in einem Fenster das Licht angegangen war. Sie wurde sich des Bildes bewusst, das sie vermutlich im schwachen Widerschein abgab. Ein achtbares katholisches Mädchen würde das nie in Sichtweite eines Hotels geschehen lassen, auch wenn es hier am Waldesrand relativ dunkel war. Ihre Lippen waren durch ihn versiegelt und erlaubten keinen Protest, aber der Griff ihrer Arme lockerte sich unwillkürlich. Als einzige Reaktion darauf lösten sich seine Lippen kurz von den ihren, aber nicht seine Arme.

Seine Augen blickten aus allernächster Nähe in ihre mit einer Intensität, die sie erschauern ließ. Sie fühlte sich wie gelähmt. Sie konnte weder ihren Mund zum Protest bringen noch ihre Arme zum Wegstoßen veranlassen, obwohl sie genau wusste, dass beides nötig wäre. Ihr wurde heiß und kalt zugleich, als sie nun auch noch seine linke Hand bemerkte, die begann an ihrer rechten Seite ihren Rock hochzuschieben. Sie fühlte sich wie ein Reh gefangen, das von den Scheinwerfern eines Autos in Starre versetzt wird, nur das es hier der Widerschein des Lichtes im Hotelzimmer war, das sich in den Augen von ihm spiegelte. Sie konnte ihren Blick nicht von seinen Augen lösen, auch nicht als sie merkte, wie ihr Rock immer höher glitt. Sie schloss ihre Augen. noch bevor er ihre Taille erreichte.

Dann fühlte sie seine beiden besitzergreifend Hände auf ihrem Po. Seine warmen Finger machten sich bereits an ihrem Schlüpfer zu schaffen. Sie hingegen konnte ihre eigenen Hände nicht bewusst bewegen. Die linke lag wie entkräftet auf seinem Nacken, während ihre rechte Hand energielos an seinem Rücken bis auf seinen muskulösen Hintern herunterrutschte. Sie hörte wie von ferne ihr eigenes wehrloses Stöhnen, als seine kräftigen Finger sich in das weiche Fleisch ihrer Pobacken eingruben, während seine Daumen sich in den Bund ihres Slips einhakten.

Plötzlich erklang seine Stimme tief und heiser an ihrem Ohr: „Ich ... will... Deine ..!"

War es der Klang der ungehemmten Leidenschaft in seinen Worten oder das Gefühl wie seine Daumen ihren Schlüpfer bis auf ihre Oberschenkel herunterzogen, das ihre Trance brach? Oder war es erst das Geräusch einer sich danach öffnenden Balkontür im Hotel oder alles zusammen? Jedenfalls war es einfach zu viel für sie -- es löste eine panikartige Reaktion in ihr aus, die ihre vorherige Lähmung schlagartig aufhob. Sie fühlte sich mit einem Mal nicht mehr als erwachsene Frau, sondern als überrumpelter Teenager. Sie versteifte sich, während sie versuchte seine Schulter zurückzustoßen. Als dies teilweise gelang, versuchte sie mit der anderen Hand ihren Rock wieder herabzuziehen, während gleichzeitig Worte einfach aus ihrem Munde heraus purzelten. Worte in der Sprache, die ihr gerade in den Sinn kamen von polnisch bis englisch, ohne Bedacht „Obawa... Ich... please, I can't... ". Dann mit ein bisschen mehr Überlegung verfiel sie in Französisch, um sicher zu sein, dass sie sich verständlich machte: „Je veux rester intacte jusqu'au mariage..."

1.4 Der Irrtum

Michel begriff sofort den Riesenfehler, den er begangen hatte. Er hatte sich geirrt. Sie war nicht in Scheidung, ja noch nicht einmal verheiratet. Er hatte sich von seinen eigenen Emotionen überwältigen lassen, als er in ihren ausdrucksvollen Augen die explosive Mischung wahrgenommen hatte. Sie hatte ihren Blick nicht von ihm wenden können, obwohl er deutlich ihre Verwirrung gespürt hatte. Aber gerade diese Kreuzung aus ihren widerstreitenden Emotionen hatte ihn fasziniert - ihrem sinnlichen körperlichen Verlangen und der schuldhaften Scham über ihren eigenen Mangel an Widerstand sowie der uneingestandenen Lust bewundert zu werden. In diesem Moment wusste er plötzlich, dass er eine Frau gefunden hatte, die ihn faszinierte. Eine sehr sinnliches aber auch sehr katholisches Mädchen, die ihre eigene Sexualität und Neigung zum Exhibitionismus mit einem Schuss Schuld erleben würde.

Er hatte sich nicht zurückhalten können, ihr sofort zu zeigen, dass er sie wollte. Natürlich hätte er wissen müssen, dass sie dem nicht zustimmen konnte, aber so eine starke Reaktion hatte er nicht erwartet. Er nahm sofort etwas Abstand, ohne sie jedoch ganz aus seinen Armen zu lassen. Kaum hatte er ihr jedoch Luft gelassen, da fauchte sie ihn wütend an: „Selbst Igor hätte nicht gewagt seine Sirene so zu behandeln."

Er hielt sie mit seinem linken Arm liebevoll und strich ihr beruhigend mit der rechten Hand übers Haar. Er versuchte die Folgen seiner spontanen Dummheit zu minimieren. „Ich entschuldige mich, ich habe mich ..." Er beendetet seinen Satz nicht. „Keine Angst -- ich respektiere die katholischen Regeln. Du brauchst keine Sorge zu haben, ich werde Dich nicht noch einmal beleidigen." Er nahm sie beruhigend und ganz sanft in seine Arme. „Meine Cousinen in Spanien sind praktisch alle bis zur Hochzeit unberührt geblieben, selbst diejenige, die erst mit dreißig geheiratet hat. Ich habe das immer bewundert und respektiert. Ich würde nie ein katholisches Mädchen zu etwas verführen, was ihre spätere katholische Heirat gefährdet." Er fühlte wie sie sich langsam wieder entspannte. „Du kannst mir wirklich vertrauen."

Er konnte spüren wie Maria sich langsam wieder beruhigte. Aber er stolperte jäh über den Satz mit der Sirene und Igor. Er hatte natürlich mit dem Logistikleiter in Polen persönlichen Kontakt gehabt, wie es so nach mehreren Jahren im gleichen Konzern üblich war. Zuletzt hatte sich sein Kollege Igor über seine aktuelle Freundin ausgelassen. Er hatte sie seine Sirene genannt, die ihn immer lockte, ihn aber nie an sich heran ließ. Einmal hatte er sogar in komischer Verzweiflung zugegeben, dass er es trotz mehrmonatiger Liaison noch nicht einmal geschafft hatte, sie ganz ohne ihre Unterwäsche zu berühren, sondern immer nur mal dies und das. Das klang so gar nicht nach dem Igor, den Michel kannte. Aber er hatte ihn sogar als guten Kollegen und Freund um Rat gefragt, und selbst eine Verlobung und Heirat nicht ausgeschlossen, was bei dem Schwerenöter Igor schon viel bedeutete. Er hatte sich auch darüber beklagt, dass seine Sirene sich nicht nur unglaublich sexy zu kleiden wusste, sondern auch unglaublich kokett sein konnte. Andererseits war sie auch genauso gut darin ihn abzukühlen, wenn er versuchte seine Hände mehr zu benutzen als ihr lieb war. Inzwischen sei sie schon so auf der Hut, dass er schon glücklich sei wenn er ihre Knie streicheln könnte -- was definitiv lächerlich für einen Mann wie ihn war. Michel hatte nie Anlass gehabt zu vermuten, dass sie eine Arbeitskollegin oder Untergebene von ihm war und deshalb Maria Galinski nie in dieser Rolle gesehen. Was sie vorhin wütend herausgefaucht hatte, waren es ihm aber zu viele Übereinstimmungen, um noch an einen Zufall glauben zu können.

Wenn das tatsächlich so war, dann verstand er natürlich ihre extrem empfindliche Reaktion, als er versucht hatte ihren Schlüpfer herabzuziehen. Sie war anscheinend wie ein unvernünftiges Kind in Panik verfallen, obwohl sie sich doch vorher offensichtlich so sicher in seinen Armen gefühlt hatte. Und zudem hatte sie ihn ja praktisch eingeladen, als sie ihn zu sich heranzog.

Sie schien den Eindruck zu bedauern, den sie mit ihrer Reaktion bei ihm erwartete. Sie murmelte mit einem betretenen Blick „Verzeihung, ich, ich war dumm! Normalerweise geschieht mir so etwas nicht -- und schon gar nicht beim ersten Treffen und erst recht nicht in einem öffentlichen Raum." Sie legte ihren Kopf vertrauensvoll an seine Schulter. Sie glaubte wohl ihm eine Erklärung schuldig zu sein und blickte ihm in die Augen, und versuchte in allen ihm verständlichen Sprachen auszudrücken, was für einen Eindruck sie ihm nicht vermitteln wollte. Es schien ihr wichtig zu sein. „Je ne suis pas une allumeuse. I am not a tease. Ich wollte nicht kokett spielen..."

Michel glaubte sehr wohl, dass sie sogar ziemlich kokett war, aber er verstand was sie ihm sagen wollte. Sie hatte keine Absicht gehabt ihm erst gewisse Freiheiten zu erlauben -- und ihn dann auf diese dramatische Art zurückzuweisen. Andererseits war es ihm bewusst, dass sie laut Igor wohl so darauf bedacht gewesen war ihren Freund im Zaume zu halten, dass Situationskontrolle im Sinne des Begrenzens seiner Avancen eminent wichtig für sie geworden war. Spontane Zärtlichkeiten waren für sie damit gar nicht mehr möglich. Wahrscheinlich hatte das ihr Verhältnis zu Igor negativ beeinflusst. Natürlich hatte er sich genau auf denselben Pfad begeben, als er sie draußen bedrängt hatte. Diesen Fehler durfte er nicht noch einmal begehen, aber was konnte er anders machen?

Gleichzeitig wurde ihm klar, dass sie vielleicht nur dieses Wochenende gemeinsam hatten. Ein Wochenende, das zudem überwiegend im Kollegenkreis verbracht wurde, schlimmstenfalls also nur genau diesen Abend heute. Er musste so antworten, dass sie auch nach diesem Wochenende noch an ihn denken würde, auch wenn sie weit weg war. Und er musste hier und heute überzeugend sein. Er verließ sich in dieser Lage auf seine Intuition, denn für Nachdenken hatte er keine Zeit. Er umarmte sie sanft, um ihr zu zeigen dass er ihr glaubte, dass sie keine ‚allumeuse' war. Dann küsste er sie fordernder und war zufrieden, als sie sich mit einem zufriedenen Ausdruck küssen ließ.

Maria lag immer noch in seinen Armen und fühlte sich anscheinen nach ihrer Blamage wieder einigermaßen wohl. Wäre sie eine Katze gewesen, so hätte sie jetzt vor Zufriedenheit geschnurrt. Aber dann platzte die Bombe, als er plötzlich sie anblickte und ihr etwas sagte, womit sie absolut nicht rechnen würde, wo Männer mit derartigen Aussagen doch mehr als vorsichtig waren.

„Ich möchte Dich unbedingt wiedersehen nach diesem Wochenende."

Er holte tief Atem, als er ihre Verblüffung sah. „Das ist vielleicht sehr ungewöhnlich nach der kurzen Zeit, aber in Frankreich haben wir das, was wir ‚coup de foudre' nennen und was die Englischsprachigen ‚Love at first sight' nennen." Er redete schnell weiter, als er ihr Unbehagen mit seiner Deklaration sah. „Du brauchst mir nicht heute und auch nicht morgen zu antworten. Ich will Dir damit nur die Sorge nehmen, dass ich Dich noch einmal in eine Situation bringe, wo Du um Deine Kontrolle der Situation fürchten könntest. Mir ist auch klar, dass Du mich noch nicht richtig kennst, aber ebenso dass Du mich attraktiv findest. Um uns beiden eine Chance zum besseren Kennenlernen zu geben, brauchen wir Regeln. Mit meiner einseitigen Erklärung habe ich mich in Deine Hand gegeben, aber ich habe auch meine Bedingungen dafür." Er verstummte für einen Moment, um ihr Zeit zu geben, sich zu sammeln.

Er brauchte kein Psychologieexperte zu sein, um zu erkennen dass Maria total verwirrt war. Sie war immer noch in seinen Armen, aber zog sich nun etwas zurück, um ihn fragend anzuschauen. „Bedingungen??" Sie war skeptisch und klang auch so. Michel küsste ihre Stirn und ließ sie dann ganz los. „Maria, ab jetzt berühre ich Dich nur noch dann mit meinen Händen, wenn Du, wann Du und wie Du es willst. Ich gebe Dir die volle Kontrolle in dieser Hinsicht! Andererseits darfst Du mich necken, soviel Du willst, aber auch du darfst deine Hände nur mit meiner expliziten Erlaubnis benutzen."

Er konnte regelrecht sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Sie glaubte ihm nicht, dass dies seine einzigen Bedingungen waren -- und sie hatte natürlich Recht. Er musste einerseits natürlich den Fehler der stetigen Avancen von Igor vermeiden aber andererseits es auch unterlassen, genauso wie Igor nicht ihre Schamgrenze durchbrechen zu können. Er war optimistisch genug, um zu glauben, dass er attraktiv genug war, um Maria in Versuchung zu führen: „Ich gebe Dir die Kontrolle über mein Verhalten, aber auch Du musst mir etwas geben. Ich möchte sicher sein, dass Du nicht nur einseitig passiv mein Versprechen erhältst, sondern Du auch selber in aktiver Weise Kompromisse eingehst. Wenn Du auch morgen noch möchtest dass ich Dich berühre, dann erwarte ich von Dir dass Du das mit einem aktiven Verhalten signalisierst. Zum Beispiel wäre es ein Signal, wenn Du mir jetzt auf dem Weg zurück zur Bar sichtbar Dein Höschen gibst."

Er konnte ihre Augen wütend aufblitzen sehen, dann empfing er eine schallende Ohrfeige von ihr, während sie ihn wütend anzischte: „Du dreckiges Schwein, das möchtest Du wohl, ja?"

Halb hatte er das erwartet, so konnte er relativ ruhig reagieren - aber auch schnell genug, bevor sie sich abwendete und von ihm weglief: „Maria, wie Du siehst, rühre ich auch dann keine Hand, selbst wenn Du handgreiflich wirst." Er sah Erstaunen in ihren Augen aufscheinen und wie sich ein neugieriger Ausdruck auf ihrem Gesicht breit machte, der mit ihrer halb abgekehrten Körperhaltung kontrastierte. Er beschloss intuitiv diesen Punkt auszuwalzen und ihr Interesse zu nutzen.

„Ich erlaube Dir ausdrücklich mich zu schlagen und werde mich nicht wehren. Du kannst mir auch befehlen - selbst wenn mich andere dabei überraschen könnten - vor Dir niederzuknien oder was immer Du willst."

Offensichtlich hatte ihr so etwas noch kein realer Mann in Polen gesagt, denn sie war so verblüfft, wie man nur sein kann, wenn man wirklich baff ist. Jeder Gedanke ans Davonlaufen war aus ihrer Körperhaltung verschwunden. Jetzt konnte er seinen Punkt heimbringen.

„Maria, ich akzeptiere es in dieser für einen Mann doch sehr ehrenrührigen Haltung überrascht zu werden. Ich gehe bewusst das Risiko ein, von anderen für einen Pantoffelhelden gehalten zu werden. Ich erwarte von Dir eine ähnliche Risikobereitschaft zu zeigen. Natürlich nicht für das gleiche Wagnis, sondern das für eine frivole Frau gehalten zu werden. Damit zeigst Du mir, dass Dir wirklich etwas an mir liegt. Daher mein Einfall mit der Übergabe Deines Slips auf dem Weg zur Bar. Dabei ist das Risiko der Überraschung eigentlich nicht groß, denn wer schaut aus der Bar schon nach draußen?"

Er konnte die sie überlaufende Gänsehaut ob dieser Vorstellung aus ihrer Haltung regelrecht ablesen. Vielleicht war das für den Anfang zu starker Tobak für sie.

„Das kann zunächst auch eine harmlosere Idee sein. Zum Beispiel dass Du mir ein Signal gibst, indem Du Deine Kleidung in bestimmter Weise wechselst, wenn wir uns getroffen haben. Du könntest auf die Toilette gehen und danach Deinen BH nicht mehr tragen. Das ist nicht sehr auffällig und nur ein kleines Risiko. Wir beide wissen dann aber, dass ich sehen kann, wie sich Deine Busen schön plastisch abzeichnen, unter der Voraussetzung einer ‚richtig' gewählten Kleidung."

Er sah wie sie demonstrativ den Kopf schüttelte, aber auch wie ihre Pupillen sich erweiterten und ein winziges Lächeln ihre Lippen umspielten. Diese Vorstellung machte sie offensichtlich an, obwohl sie das ihm gegenüber noch nicht zugeben wollte. Plötzlich war er zuversichtlich, dass er auch seine anderen Vorstellungen durchbringen konnte, wenn er geschickt vorging.

2. Vorbereitungen

2.1 Der Berater

Johannes Burg trat diskret vom Fenster zurück und legte seine Spiegelreflexkamera mit dem Tele ab, als neben ihm in der Wohnung die Balkontür geöffnet wurde. Schade eigentlich, denn jetzt wurde es so richtig spannend. Aber eigentlich wusste er genug. Als sie Michel ohne Widerstand erlaubte, sie weiter zu entblößen - trotz der in seinem Nachbarzimmer angehenden Beleuchtung -- war es klar. Er hatte es an ihrem Verhalten erkannt. Sie hatte kurz gezögert, als ihr weißes Höschen enthüllt wurde, aber dann einfach die Augen geschlossen.

Er war leise amüsiert auf der einen Seite, weil sich die Entwicklung der Beziehung zwischen Maria und Michel eigentlich nur positiv für seine Pläne auswirken konnte. Beide repräsentierten konkurrierende Standorte und eine Affäre zwischen den beiden würde ihre Kooperationsbereitschaft untereinander selbstverständlich stark steigern. Andererseits ärgerte er sich auch. Obwohl rein rational die sich anbahnende Beziehung gut in sein Projekt passte, so konnte er doch einen gewissen Neid auf den Franzosen nicht unterdrücken. Aber nun, er sollte lieber den morgigen Tag planen.

Er erinnerte sich, wie er sich vor wenigen Tagen vorbereitet hatte. Am vorherigen Donnerstag schrieb er in London die letzten Schritte für den Beratungsauftrag zusammen. Er war jetzt fünfundvierzig Jahre alt und war sich durchaus darüber bewusst, dass dieses wichtige Projekt sicherlich sein letztes als Angestellter in der Beratungsfirma sein würde. Wenn er diesen Auftrag zur vollsten Zufriedenheit der Eigentümer des beauftragenden Konzerns abschloss, dann würde er entweder endlich als Partner in die Beratungsfirma aufgenommen oder er konnte sich einen gut dotierten Geschäftsführerposten innerhalb des Konzerns aussuchen. In beiden Fällen war er ein gemachter Mann. Wenn er hingegen die Erwartungen nicht voll erfüllte, dann waren seine Tage in der Beratungsfirma gezählt, denn eigentlich war er schon längst weit über das Alter hinaus, in dem man Mitarbeiter ohne Partnerstatus noch akzeptierte. Seine Beauftragung als Teamleiter für ein so bedeutendes Projekt hatte er eigentlich nur dem für ihn günstigen Zustand zu verdanken, dass zwei der Partner durch einen schweren Autounfall seit dem letzten Jahr für längere Zeit aussetzen mussten.
Bisher war er nicht durchsetzungsstark genug gewesen, um sich als Partner zu profilieren. Er war daher wild entschlossen, diese einmalige und vermutlich letzte Gelegenheit zu nutzen. Die Zielsetzungen des neuen Auftraggebers waren allerdings nicht ohne Probleme umzusetzen. Die übliche Effizienzsteigerung war dabei noch das einfachste, da diese Aufgabe mit der richtigen Vorgehensweise üblicherweise durch die Angestellten des Konzerns in der aufzustellenden Arbeitsgruppe erledigt wurde, wenn sie entsprechende Vorgaben bekamen. Hier war er sehr zuversichtlich. Vertrackter war hingegen die politische Vorgabe den vorherigen ‚Amtssitz' des früheren Konzernvorstandes Verkauf nicht nur zu entmachten, sondern nach Möglichkeit auch zu eliminieren. Offensichtlich hatte der Sohn des ehemaligen Eigentümers noch über den Rausschmiss des mit seinem Vater vertrauten Vorstandes hinaus noch Rachegelüste, um sämtliche Spuren dieses ihm wohl verhassten Menschen zu beseitigen. Der nun im Ruhestand befindliche Vertraute des verstorbenen Firmenchefs hatte in Deutschland residiert und dementsprechend einige Konzernfunktionen dort angesiedelt. Eine Verteilung derselben zurück zur neuen Europazentrale in England und der lokalen Produktion auf andere Standorte würde sich wahrscheinlich rein betriebswirtschaftlich gesehen überhaupt nicht rechnen, aber der jetzige Konzernchef hatte offensichtlich andere Motive als nur rein wirtschaftliche. Ihm war klar, dass er an dieser politischen Vorgabe gemessen werden würde. Das würde nicht einfach werden, aber er hatte eigentlich genügend Routine, um auch solche politischen Randbedingungen argumentativ entsprechend so darzustellen, dass ein Sachzwang glaubhaft erschien, wenn auch vielleicht nur auf den ersten Blick. Zuvörderst war allerdings eine Effizienzsteigerung durch Personalabbau -- dies klappte praktisch immer! Er war optimistisch, dass er es schaffen würde, sämtliche Vorgaben umzusetzen.

Er hatte auch schon entsprechende Schritte in Zusammenarbeit mit dem Personalvorstand des Konzerns vorsichtshalber vorbereitet. Der jetzige Geschäftsführer in Deutschland würde spätestens nach Erstellung des Budgets sowieso von seinem Posten abberufen werden und die Wahl erhalten entweder pro forma seinem Nachfolger als Berater zur Verfügung zu stehen oder eine Sonderaufgabe in der Konzernzentrale zu erhalten, um z.B. Lobbyarbeit in politischen Gremien und Verbänden zu leisten. Der Betriebsrat könnte bei Widerstandsbestrebungen ein so attraktives Angebot zum Frühruhestand erhalten, dass er einfach nicht ablehnen konnte. Der aktuelle Werksleiter am Standort könnte bei Bedarf als Technischer Direktor nach Asien versetzt werden. Damit wären alle einflussreichen Gegenstimmen innerhalb von sechs Wochen nach Projektstart von vornherein eliminiert. Gleichzeitig war er gespannt, wen Deutschland als Mitarbeiter in sein Projektteam schicken würde. Hier war es wichtig zu eruieren, wem die Loyalität dieses Mitarbeiters galt. Wenn dessen Loyalität dem Konzern galt, dann würde es wenige Schwierigkeiten geben - wenn sie hingegen dem deutschen Standort galt, dann würde er geschickt agieren müssen.

Er schaute auf seine Uhr. Diese ganzen Gedanken brachten nichts -- er musste seinen Kopf frei bekommen. Er ging in den Fitnessclub des Hotels und brachte seinen drahtigen Körper zum Schwitzen. Nicht nur in dieser Hinsicht war er sehr diszipliniert. Er war sehr für Disziplin, obwohl an dieser Vorliebe auch seine Ehe gescheitert war. Er hatte einsehen müssen, dass er die implizite Einwilligung seiner viel jüngeren Ex-Frau nicht als gegebene Tatsache für alle Situationen annehmen konnte. Er hatte sich ihre Akzeptanz durch seine eigene Dummheit und Halsstarrigkeit erst verscherzt und sie dann dadurch an einen anderen Mann verloren. Das war deswegen so besonders schlimm gewesen, weil er sich so sicher gewesen war, dass sie alles von ihm akzeptieren würde. Er war darauf unheimlich stolz gewesen und hatte sie ehrlich geliebt. Das war bald zehn Jahre her, aber er hatte für fünf Jahre unter dieser Erinnerung gelitten. Er hatte in diesem Zeitraum keine Frau gefunden, die ihm wirklich eine Partnerin sein konnte, obwohl er verzweifelt nach einem ähnlich veranlagten Wesen gesucht hatte, aber immer wieder enttäuscht worden war. Nach diesen fünf Jahren Suche hatte er sich geschworen, sich nie wieder in eine Frau zu verlieben, sondern nur noch Abenteuer zu suchen und zu genießen.

Johannes hatte danach seine Sachen gepackt und sich auf den Weg zum Flughafen gemacht. Er wollte am Abend vorher am Flughafen Hamburg ankommen. Er hatte ein Tagungshotel auf dem Lande als neutralen Treffpunkt ausgewählt, damit keine Störungen durch Arbeitsabläufe in den Firmen der Mitarbeiter seine Planung beeinflussen würden.

2.2 Die ehemalige Konzernzentrale in Deutschland

Zum gleichen Zeitpunkt runzelte Oliver Stein die Stirn, als er die erste, dann die zweite und abschließend die dritte eintreffende E-Mail las. Er hatte natürlich irgendwie damit gerechnet, dass nach der Ausdünnung der Geschäftsführungsebene weitere Restrukturierungsmaßnahmen stattfinden würden, aber er hatte auch damit gerechnet als alleinig verbliebener Geschäftsführer des Filialstandortes persönlich und vorab unterrichtet zu werden, um entsprechend reagieren zu können. Er machte sich wenig Illusionen über seinen tatsächlichen Handlungsspielraum, da sein Geschäftsführungskollege die Treppe ‚hochgefallen' war und nun auf der Konzernebene überregionale Aufgaben wahrnahm, während er auf der lokalen Ebene die legale Verantwortung übernommen hatte, ohne entsprechende Handlungsvollmachten über die von ihm zu verantwortende Finanzbuchhaltung hinaus zu bekommen. Für ihn persönlich war dies zwar ein Gewinn an Ansehen, aber ihm war klar, dass er im wesentlichen die Aufgabe eines Frühstücksdirektors bekommen hatte, was ihn gefuchst hätte, wenn er sich nicht mit 64 Jahren schon kurz vor der Pensionierung befunden hätte.

Die allgemeine Mitteilung über Rationalisierungsmaßnahmen war zwar später eingetroffen, aber der Zeitabstand von einer Minute erschien ihm angesichts dieses brisanten Themas wahrlich nicht als angemessen, um es mal vorsichtig auszudrücken. Er war schockiert über die Art, solche Mitteilungen ohne vorherige Diskussion zu schicken, insbesondere als er die dritte nur an ihn gerichtete Mitteilung interpretierte, die einen Stellenabbau von 25% forderte, aber zwischen den Zeilen für einen mit solchen Mitteilungen vertrauten auch eine komplette Betriebseinstellung nicht ausschloss. Zu diesem Zweck forderte die Nachricht ihn auf, eine kundige Person in ein Reorganisationsteam zu entsenden, dessen Aufgabe der Standortvergleich zwischen vergleichbaren Einheiten und die Erstellung von Rationalisierungsplänen war. Unverzüglich ließ er durch seine persönliche Assistentin die Leiterin der Administrationsdienste, die auch gleichzeitig in seiner Abwesenheit als Stellvertreterin fungierte sowie den Betriebsrat und dessen Stellvertreterin in sein Büro zur Besprechung in einer halben Stunde einladen.

Helmut Kühnen war ein alter Hase im Betrieb, dessen langjährige Erfahrung ihn sofort spüren ließ, dass E-Mail und die telefonische Einladung vom Geschäftsführer zum Gespräch mehr zu bedeuten hatten, als die jeweils dürren Worte belegten. Er vermutete noch schlechtere Nachrichten als die bereits nicht sehr ermutigende E-Mail aufzeigte. Andererseits war dies nicht die erste Krise, die er mitmachte und er wollte nicht so schnell schwarz malen. Er nahm seine junge Betriebsratskollegin Nicole Becker mit, die eigentlich eine Mitarbeiterin von Susanne Berg war, aber einen Teil ihrer Arbeitszeit der Arbeitnehmervertretung widmete.

Susanne Berg seufzte auf, als Carola Hart dringend einen kurzfristigen Termin zum Gespräch bei dem Chef einforderte. Sie hatte eigentlich wenig Zeit, aber da Oliver Stein nie ohne Grund Termindruck aufbaute, stimmte sie der Anfrage durch seine Sekretärin umgehend zu und verlegte ihre eigenen Termine ohne viel Zögern. Außerdem hatte Oliver Stein sie bei allen Konflikten nicht nur freundlich unterstützt, sondern ab und an auch aktive Beratung geleistet-- und das zählte bei ihr auch. Rein formal gesehen war er auch ihr Chef, obwohl sie ihre wesentlichen Weisungen von zwei verschiedenen Vorgesetzten bekam, die aber beide nicht bei der Filiale, sondern bei der ausländischen Konzernzentrale in den USA bzw. in der neuen Firma in London angestellt waren.

Als alle drei in seinem Büro am Tisch saßen und den ersten Schluck Kaffee bzw. Tee genommen hatten, da ließ Oliver Stein die Katze aus dem Sack: „Liebe Mitarbeiter, ich werde jetzt offen reden unter der Voraussetzung, dass Sie alle mir Ihr Stillschweigen zusichern..." Er blickte sie der Reihe nach an, um ihr zustimmendes Nicken zur Kenntnis zu nehmen. Erst dann fuhr er fort: „Ich weiß nicht ob Sie bereits die E-Mail zur Umorganisation gelesen haben oder nicht, aber ich habe darüber hinaus Informationen über einen geplanten Standortvergleich erhalten, die mich glauben machen, dass dies gegebenenfalls auch zu einer Einstellung unserer lokalen Aktivitäten führen kann. Jedenfalls bin ich aufgefordert worden, eine kundige Person in ein Reorganisationsteam zu entsenden, um bei einer Personalreduzierung zu helfen." Er lächelte beruhigend, als er in die wie vom Donner gerührten Gesichter von Susanne und Nicole erblickte. „ Eine Personalreduktion wird wohl nicht zu vermeiden sein, aber die Aufgabe des Standortes ist noch keine beschlossene Sache. Daher müssen wir uns natürlich gut darstellen, um diese Möglichkeit im Interesse unserer Mitarbeiter auszuschließen -- und wir müssen natürlich so gut wie möglich über konkurrierende Standorte Bescheid wissen." Er legte eine Pause ein und blickte den 62-jährigen Betriebsrat an: „Helmut, ich denke Du willst doch sicherlich mithelfen, um so viele Arbeitsplätze wie möglich hier zu erhalten, nicht wahr?"

Helmut Kühnen nickte bedächtig: „Selbstverständlich -- und genauso selbstverständlich werde ich natürlich versuchen Informationen über die Betriebsräte unserer Schwesterstandorte zu erhalten, aber diese werden natürlich genau dasselbe Interesse haben und daher nicht so offen sein, wie wir uns das hier wünschen würden. Zudem ist es ja kein Geheimnis, dass zumindest unsere Konzernzentrale mit scheelen Blicken auf die bisherige Sonderrolle unseres Standortes schaut. Seit dem Ruhestand unseres ehemaligen Konzernvorstandes, der ja aus unserem Hause kommt und immer bis dato seine schützende Hand über unser Haus gehalten hat ....." Er beendete seinen Satz nicht, sondern zuckte nur vielsagend mit seinen Schultern. Er war nicht sehr optimistisch.

Oliver Stein sah Susanne Berg an: „Susanne, Du hast durch die Ausbildung als Chemieingenieurin und die Leitung des Innendienstes sowie Deiner Mitarbeit im Projekt Lagermengenoptimierung den besten Überblick. Außerdem sprichst Du fließend englisch, was für dieses internationale Team eine Forderung ist. Daher würde ich Dich gerne vorschlagen und ich glaube auch Deine beiden Vorgesetzten davon überzeugen zu können. Bist Du bereit diese Rolle zu übernehmen?"

Susanne Berg fühlte sich überrumpelt. Sie war auf diese Frage einfach nicht vorbereitet. Es war ja schon überraschend genug mit der potentiellen Aufgabe des Standortes rechnen zu müssen --und dann auch noch diese Anfrage. „Was wäre denn überhaupt meine Aufgabe?"

Oliver Stein hakte sofort nach, denn sie hatte ja nicht abgelehnt: „Susanne, offiziell ist Deine Aufgabe im Team das Erklären und Beschaffen von Daten, die unseren Standort betreffen. Inoffiziell natürlich die Rücksprache mit uns, um unsere Darstellung und damit die Position unseres Standortes zu verbessern. Selbstverständlich würde die Information auf uns vier beschränkt bleiben, bis wir alle gemeinsam eine erste Bewertung vorgenommen haben, sofern alle damit einverstanden sind." Er blickte Nicole Becker forschend an. „Frau Becker -- können Sie uns das so zusichern?" Sie war erst zwei Jahre im Betrieb und daher für ihn in punkto Vertrauenswürdigkeit weniger leicht einzuschätzen als die beiden anderen Mitarbeiter, aber auch sie nickte zustimmend, wobei die beiden anderen keine Anzeichen von Beunruhigung zeigten. „Gut, denn nur so haben wir eine Chance den Prozess zu beeinflussen! Susanne, ohne Rückmeldung von Dir können wir nur die Entscheidungen des Konzerns hinnehmen, obwohl dort vielleicht Äpfel mit Birnen verglichen werden - also ist Deine inoffizielle Aufgabe dort extrem wichtig für den Erhalt der Arbeitsplätze unserer Mitarbeiter. Ich hoffe Du wirst dementsprechend kämpfen!" Die Leidenschaft in seiner Stimme war echt. Er hatte hier fünfunddreißig Jahre gearbeitet und kannte ebenso wie Helmut Kühnen alle langjährigen Mitarbeiter persönlich. Er hatte sich von der Lehre ausgehend zum Geschäftsführer hochgearbeitet und diese Firma war irgendwie auch seine Heimat. Es würde ihm in der Seele wehtun, wenn das alles nun so plötzlich ein Ende finden würde.

Die junge Nicole Becker mit ihrer oft schnoddrigen Art überraschte Susanne, als auch sie mit Verve an ihre Chefin appellierte, wobei auch der Betriebsrat Kühnen mit seiner schlohweißen Frisur einstimmte. Sie wusste um das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den langjährigen Mitarbeitern der Firma, aber dass auch diese junge Frau davon bereits angesteckt war, verwunderte und rührte sie gleichzeitig. Dieser ergreifende Vertrauensbeweis schnürte ihr die Kehle zusammen und machte ihre Augen feucht. Ihr eigener Gemütszustand war turbulent. Plötzlich war alles wieder unsicher, während sie doch nach der vor gut einem Monat ausgesprochenen Beförderung zur Stellvertreterin von Oliver Stein sich schon am Ziel ihrer Wünsche geglaubt hatte. Es hatte alles nach einer abgesicherten Position ausgesehen. Sie hatte schon angefangen zu überlegen, ob sie jetzt nicht doch ihren Freund fragen sollte, ob sie nicht zusammen ziehen sollten, da sie ihren bisherigen Arbeitseinsatz von mehr als 60 Wochenstunden nunmehr reduzieren konnte. Und nun war wieder alles in Frage gestellt!

Herr Stein fuhr nunmehr fort in seinem Appell an die Mitarbeiter. „Es ist wichtig, dass der gesamte Betriebsrat hinter dieser Entscheidung steht, auch in dem Sinne eines Informationsaustausches mit Frau Berg. Ich erwarte daher von Ihnen beiden einen ständigen Kontakt mit ihr zu halten, nach Möglichkeit auch am Wochenende. Für Freitagmorgen ist das erste Treffen anberaumt, das bis einschließlich Sonntagabend stattfinden soll. Ich werde den Werksleiter Hansen dementsprechend ansprechen. Ich kenne ihn gut genug um zu wissen, dass auch er mitziehen wird. Ich werde Frau Hart anweisen die Reisevorbereitungen zu treffen. Natürlich erhält Frau Berg arbeitsfreie Tage zur Vorbereitung." Damit schloss er dieses Treffen.

2.3 Die Zukunft liegt im Osten oder doch nicht?

Igor Kalinin machte sich keine großen Illusionen. Er würde seine Karten so gut spielen wie er nur konnte, aber weder in der beruflichen Situation noch in seinem Liebesleben erwartete er fulminante Fortschritte, sondern eher Rückschritte. Die erhaltene Einladung von der Konzernseite doch jemanden für eine zukunftsgerichtete Arbeitsgruppe zu nominieren, täuschte ihn nicht über die Zukunftsperspektiven hinweg. Er hatte sich genügend mit seinem Pendant in Frankreich ausgetauscht um zu wissen, dass eine weitgehende Zusammenlegung der Logistik-Kapazitäten in Frankreich und Polen sehr wahrscheinlich war. Ihm war klar, dass er in einer solchen Zusammenlegung der Juniorpartner sein würde. Zusätzlich würde ihn die ehemalige Zuordnung seiner Einheit zum unbeliebten deutschen Standort bei den jetzigen Eignern nur Nachteile bringen. Sein französischer Kollege sah das mit der Zusammenlegung und der daraus resultierenden Schrumpfung sehr ähnlich, aber er war naturgemäß optimistischer für seine eigene Zukunft.

Er sah auch die diplomatische Antwort von Maria als das was sie war -- eine verbrämte Zurückweisung auf seinen Antrag. Nach dieser Antwort hatte er es als beste Option angesehen, sie als seine Entsandte zum Arbeitstreffen des Konzerns zu nominieren. Auf diese Weise konnten sie beide Abstand gewinnen. Er war sowieso über seine Grenzen hinausgegangen mit ihr, aber sie hatte ihn derartig herausgefordert, dass er seinen sonst so klaren Verstand bald verloren hätte. Diese Mischung aus einem Äußeren, das einen Heiligen in Versuchung bringen konnte, und einer Rühr-mich-nicht-an-Haltung, sobald es über mehr als Küsse und intimes Petting hinausging, hatte ihn mehr als einmal bald die Kontrolle verlieren lassen. Aber das Teufelsweib hatte es in einer engelhaften Art und Weise immer verstanden ihn auf Distanz zu halten, während sie gleichzeitig so gekleidet war, dass er sie am liebsten sofort in das nächste Zimmer gezerrt hätte. Trotz seiner besten Tricks beim intimen Schmusen hatte er es nie geschafft, dass sie ihrer eigenen Leidenschaft die Herrschaft überließ. Wie sie es schaffen konnte so kühl zu bleiben, wenn er selbst dabei innerlich brannte, würde er nie völlig verstehen. Natürlich war ihm auf einer rationalen Ebene klar, dass ihre streng katholische Mutter ihr die Hölle heiß gemacht hätte, wenn Maria nur daran gedacht hätte ihm nachzugeben, bevor sie verheiratet war.

Er hatte auch verstanden, dass sein Kollege in Frankreich persönlich dem Treffen beiwohnen wollte. Michel Bonaventura war vermutlich einer der Profiteure des Rationalisierungsprojektes, denn als nichts anderes sah er es an.
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